Die geschlechtliche Ungleichverteilung bei klassisch männlich besetzten Studienberufen klafft an deutschen Hochschulen und Universitäten noch immer weit auseinander. Studentinnen sind in MINT-Studiengängen deutlich unterrepräsentiert und sehen sich auch im späteren Berufsleben einer Mehrzahl von Männern gegenüber. Hier setzt das Programm ChanceMINT.NRW an und bietet den Studentinnen ingenieurwissenschaftlicher Fachrichtungen und der Informatik der Universität Duisburg-Essen und der Hochschule Ruhr West unterstützende Maßnahmen an, welche sie in ihrem Studienverlauf bestärken und sie auf den Einstieg in das Berufsleben vorbereiten.
Ziel des Karriereentwicklungsprogramms ist es den Anteil von weiblichen Fach- und Führungskräften in technischen Studiengängen zu erhöhen und die Potenziale zukünftiger Fachkräfte zu fördern. Dazu werden den Studentinnen durch Rollenvorbilder und Partnerunternehmen Einblicke in die berufliche Praxis ermöglicht, die sie auf den beruflichen Einstieg nach dem Studium vorbereiten und dazu motivieren, selbstbewusst den Studienverlauf zu gestalten. Vertreterinnen aus Unternehmen übernehmen hierbei eine Vorbildfunktion für die zukünftigen Fach- und Führungskräfte.
Durch den Aufbau von Kontakten mit potenziellen Arbeitgeber*innen in der Region erhalten Studentinnen der ingenieurwissenschaftlichen Fachrichtung und der Informatik der Universität Duisburg-Essen und der Hochschule Ruhr West berufspraktische Orientierungen. Ziel ist es die Studienmotivation der Studentinnen zu stärken und Studienabbrüche zu verringern. Das Programm basiert auf drei Bausteinen: Praxisphasen, Kompaktmodulen zur beruflich-interaktiven Kompetenzentwicklung und dem Aufbau eines Netzwerkes zu Unternehmen und zwischen den Studentinnen. Die Programmentwicklung und die Pilotphasen wurden vom NRW-Landesministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) gefördert. Inzwischen werden die Kosten von beiden Partnerhochschulen getragen. Zusammen mit Vertreter*innen aus Hochschulen, Unternehmen und Verbänden wurden Konzepte für eine optimierte Studium-Praxis-Verknüpfung entwickelt. Die Mitwirkenden sind Programmpartner*innen aus der Unternehmens- wie Hochschulpraxis. Sie geben Einblicke in Unternehmen, vermitteln Mentor*innen, berichten über potentielle Berufsfelder und ermöglichen Praktika sowie Werkstudent*innentätigkeiten.
Coronabedingt wurde das Karriereförderprogramm ChanceMINT.NRW pausiert.
Schon im Projektverlauf können die Studentinnen vielfältige Kontakte geknüpft werden. Weiterhin konnten in jedem Jahrgang Werkstudent*innentätigkeiten und Praktika vermittelt werden. Unter den Studentinnen der Partnerhochschulen aber auch zwischen den verschiedenen Kohorten entstand ein Netzwerk zur Förderung des beruflichen Werdegangs. Das Feedback der Unternehmen als auch der Studentinnen ist durchgehend positiv. Daraus lässt sich schließen, dass das Projekt ChanceMINT.NRW als Erfolgsmodell bezeichnet werden kann.
Die Bewerbung des Programms stellt dabei Herausforderungen dar. Insgesamt kann bei Studierenden eine sinkende Bereitschaft zur Teilnahme an außercurricularen Angeboten beobachtet werden. Dies
kann insbesondere dann erkannt werden, wenn der Benefit nicht direkt sichtbar ist. Die Kontakte in
die Unternehmen der Region sind daher für das Programm sehr wichtig. Studentinnen können dadurch
die ersten beruflichen Kontakte geknüpft, welche einen Nutzen für sie darstellt. Es stellt sich dabei
heraus, dass diese bei einer Bewerbung des Programms besonderen Einfluss haben.
Eine weitere Herausforderung für das Projekt bildet die geringe Sensibilität von MINT-Studentinnen
für den Bedarf eines Programms ausschließlich für Frauen. Es erscheint zunächst nicht attraktiv, in
einer reinen Frauengruppe zu arbeiten. Studentinnen nehmen in der Regel nicht reflektiert wahr, dass
ihr Geschlecht Auswirkungen auf ihr tägliches Leben hat. Die Anmeldung zur Teilnahme erfolgt
überwiegend durch die aktive Ansprache und Rekrutierung von engagierten, unterstützenden
Professor*innen, die die Studentinnen auf das Programm aufmerksam machen und für die Teilnahme
werben. Diese gleich zu Beginn des Projektes mit einzubeziehen hat sich somit als großer Vorteil
herausgestellt.
Insgesamt lässt sich jedoch beobachten, dass die Studentinnen ein großes Interesse an der
Netzwerkbildung, dem Kontakt mit Unternehmen und der außeruniversitären Praxiserfahrung
aufweisen. Die Unternehmen ihrerseits haben großes Interesse an dem Projekt, da sie potentielle
Beschäftigte bereits in der Studienphase kennenlernen und erkannte Talente mitprägen und fördern
können.
Das Modell ist auf jede Hochschule übertragbar. Voraussetzung ist eine entsprechende Ausstattung
mit Personal, welches die Maßnahmen koordiniert und zielführend weiterentwickelt.
Förderung: Das Projekt ChanceMINT.NRW wurde in der Startphase mit Fördermitteln des NRW Landesministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) finanziert. Inzwischen finanzieren es die beiden Partnerhochschulen ausschließlich aus Eigenmitteln.
Insgesamt nahmen an den einzelnen Programmrunden von 2013 bis 2020 mehr als 100 Studentinnen
an ChanceMINT.NRW teil. In den ersten beiden Jahrgängen richtete sich das Programm an
Studentinnen der Universität Duisburg-Essen. Mit dem Start als Transferprojekt in 2016 nahmen
Studentinnen der Hochschule Ruhr West teil.
In der Startphase nahmen fast ausschließlich Studentinnen aus dem Fach Bauingenieurwesen teil. In
der Erweiterungsphase, mit 27 Studentinnen die größte Kohorte in den einzelnen Programmphasen,
waren die Studienfachrichtungen der Teilnehmerinnen sehr gemischt. Ein relativ hoher Anteil an
Wirtschaftsingenieurinnen mit Studienfachrichtung Maschinenbau war hier erkennbar. In der
Transferphase bis März 2017 nahmen verhältnismäßig viele Informatikerinnen (einschließlich des
neuen Studienganges Mensch-Technik-Interaktion an der Hochschule Ruhr West) am Förderprogramm
teil. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmerinnen befand sich zum jeweiligen Programmstart im
dritten bis fünften Bachelor-Semester. Teilweise nahmen auch Studentinnen aus
Masterstudiengängen teil.. Da jeder Jahrgang individuell war, wurden stets auch die Inhalte des
Programms an die individuellen Bedürfnisse angepasst.
Die Statistik weist nach, dass in der Startphase an der Universität Duisburg-Essen 60 Studentinnen in
den ersten Jahren teilnahmen. Nach der Aufnahme der Hochschule Ruhr West als Kooperationspartnerin konnten nicht nur neue Teilnehmerinnen gewonnen werden, sondern auch die angebotenen Studienfachrichtungen erweitert werden, was ebenso die potentiellen Unternehmensteilnehmer erhöht hat. Die Anzahl der Studentinnen erstreckt sich nun über die Studienfachrichtungen Bauingenieurwesen, Elektrotechnik und Informatik hinaus auf die Fachrichtungen Wirtschaftsingenieurwesen, Maschinenbau, Mensch-Technik-Interaktion, Sicherheitstechnik, Kognitionswissenschaften und Nano-Engieneering.
Seit Programmstart 2013 hat sich ebenfalls die Zahl der Partnerunternehmen kontinuierlich erhöht und liegt seit der Erweiterungsphase 2014-2015 bei durchschnittlich 20 Unternehmen. Nur wenige Unternehmen haben ihr Engagement zwischenzeitlich ruhen lassen. Sie stehen dem Programm aber weiterhin sehr nah und möchten über den Fortgang informiert werden. Auch eine weitere Zusammenarbeit können sich einige Unternehmen durchaus vorstellen.
In seinem Titel trägt das Projekt nicht nur das Wort Chance, es beinhaltet auch Chancen. Sowohl für die teilnehmenden Studentinnen als auch für die Partnerunternehmen, bietet das Programm eine klassische Win-Win-Situation, bei der beide Seiten eindeutig von ihrer Teilnahme profitieren. Das primäre Programmziel, MINT-Studentinnen aus den Bereichen, in denen der Frauenanteil relativ gering ist, gezielt zu fördern, wurde in den einzelnen Pilotphasen eindeutig erfüllt. Dies zeigen auch die Ergebnisse aus den einzelnen Befragungen (einschließlich Abschlussbefragungen) und aus den Erfahrungsberichten der Teilnehmerinnen. Im Zuge des Programms erwerben sie berufsbezogene Schlüsselqualifikationen in den praxisorientierten Weiterbildungsmodulen und bekommen durch die Unternehmensexkursionen und Hospitation vielfältige Einblicke in die regionale Unternehmenslandschaft und deren Handlungsfelder. Auch der Aufbau frühzeitiger Netzwerkstrukturen ist für die Studentinnen zukunftsweisend. Die beteiligten Unternehmen zeigen sich ihrerseits überwiegend zufrieden mit dem Programmverlauf sowie mit den Inhalten von ChanceMINT.NRW. Ein Großteil der Unternehmen ist gerne bereit, sich, auch über die Programmsstandards der Exkursionen hinaus, an weiteren Programmelementen, wie Expertisezirkeln, Podiumsdiskussionen und den Kompaktmodulen, zu beteiligen. Abgesehen von einem gut durchdachten und strukturierten Projektmanagement, trägt – neben Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen – auch eine offene und zielgerichtete Kommunikation mit allen beteiligten Akteur*innen als ein entscheidender Faktor zum Gelingen eines solchen Pilotprogramms bei.