Während sich eine aus Lehrenden und Studierenden bestehende Taskforce um die digitale Umsetzung der Lehre im Sommersemester 2020 unter Corona gekümmert hat, fiel mehr und mehr auf, dass Uni aber nicht nur Lernen ist, sondern auch eine soziale Komponente hat. Der zentrale Ort im Gebäude der physikalischen Institute an der Universität zu Köln, nämlich das Foyer, verbindet normalerweise alle Räume, Studierende sowie Mitarbeiter*innen miteinander. Gleichzeitig war er mit seinen Arbeitsplätzen ein Ort des gemeinsamen Lernens, sich Austauschens, Pause Machens sowie aber auch des Feierabend Genießens – bis es aufgrund von Corona und der damit einhergehenden Schließung des Gebäudes zum kompletten Stillstand des sozialen Lebens der Physik gekommen ist.
Aus diesem Grund hat die Fachschaft Physik ein Online-Foyer eröffnet, um auch weiterhin Kommunikation, Diskussionen und Freizeitangeboten Raum zu schaffen, stets mit der Idee, dass aus „physical distancing“ nicht „social distancing“ werden darf, dem Versuch, das richtige Maß an Öffentlichkeit und Privatheit zu finden, um einen sicheren aber offenen Austausch zu ermöglichen. Dabei galt immer das Motto: „das Foyer lebt von dem, was wir daraus machen!“
Das Online-Foyer basiert auf „Mattermost“ und besteht aus 3 Komponenten:
1. Channels zum Chatten und Austauschen
Hier entspricht der Hauptchatroom grob dem Foyer, um die verschiedenen Ecken des Foyers wie z.B. den Lernschlauch, den Computerpool, die Seminarräume oder die Bibliothek nachzustellen, wurden themen-, (Klein-)Lerngruppen- bzw. veranstaltungsspezifische Unterräume eingerichtet. Alle Nutzer*innen haben selbst die Möglichkeit, diese Raumstruktur „umzubauen“. Dies denkt die Situation im realen Foyer weiter, das in einem der wenigen dezentral verwalteten Unigebäude liegt, die aktiv von den Nutzer*innen gestaltet werden – auch wenn dabei eher selten spontan Wände eingerissen werden…
2. Live-Foyer
Eine 24/7 Videokonferenz, wo jede*r immer beitreten kann. Sie ist der Ersatz für das physische Foyer und Ort, um zusammen an der Übung zu sitzen, abends mal ein Spiel zu spielen oder zusammen einen Science Slam zu schauen.
3. Terminkalender
Alle Veranstaltungen – von Sport über politische Debatten und Einführung in interessante Bereiche der Physik bis zu Filmvorführungen – ist hier alles auf einen Blick verfügbar. Jede*r kann Dinge eintragen, frei nach dem Motto: „das Foyer lebt von dem, was wir daraus machen!“
Erfolge
Einerseits gab es zu Beginn der Krise eine immense Zahl von über das Foyer stattfindenden Veranstaltungen, in den ersten Wochen oft mehrere täglich. Darunter z.B. auch eine studentische Vollversammlung, die mindestens so gut besucht war wie reale Vollversammlungen. Es ist dabei gelungen, sehr prinzipielle und fruchtbare Diskussionen über die aktuelle Lage im Leben und an der Hochschule zu führen, deren Ergebnisse auch in die Weiterentwicklung der Lehre des Fachbereiches eingeflossen sind, auch wurde eine Satzung beschlossen usw. Typische Corona-Beschäftigungen wie Yoga und Lesen wurden ausführlich gemeinsam gestaltet; es gab in den letzten Jahren selten einen Vorlesekreis an der Uni, der so lange über das Gelesene diskutiert hat. Dabei ist es auch gelungen Dozierende einzubinden und die aktive Beteiligung einzelner Seniorenstudent*innen hat zu spannenden und so ansonsten auch nicht selbstverständlichen Debatten über die gesellschaftliche Entwicklung in den letzten 50 Jahren geführt.
Darüber hinaus war das Online-Foyer im vergangenen Semester Plattform für reguläre Veranstaltungen wie Erstsemester-Informationen, Studienberatung und Fachtutorien.
Auch wenn nur ca. 1/3 der Mitglieder des Fachbereiches einen Account hat und sich davon wiederum der Großteil passiv, aber aufmerksam verhält, hatte die Dynamik – so die vielfache Rückmeldung – auch für alle anderen vor allem in der Phase des Lockdowns eine große Bedeutung, weil erfolgreich der Beweis angetreten wurde, dass es neben Verharmlosung und panischer Abschottung einen dritten Weg gibt, dass die Corona-Auflagen nicht nur aufzeigen, was verboten ist, sondern auch, was erlaubt ist, dass dies bei kreativer Nutzung viel Raum für Erfreuliches bietet und es sich lohnt, das Leben im Hier und Jetzt gemeinsam zu gestalten, auch wenn unklar ist, was davon in zwei Wochen noch relevant ist.
So gibt es auch die Rückmeldung, dass Menschen sich zwar im Online-Foyer passiv verhalten haben, das Online-Foyer aber die entscheidende Ermutigung dafür war, im eigenen Sportverein das soziale Leben online aufrecht zu erhalten und umtriebig bei der Erfindung neuer Outdoor-Sportarten zu werden.
In Zeiten, in denen der Präsenzbetrieb an der Uni langsam wieder beginnt, wird deutlich, dass soziale Strukturen nicht zerbrochen und Studierende dabei geblieben sind. Dies wird besonders im direkten Vergleich zu den benachbarten Fachbereichen deutlich. Dies geht sicherlich bei weitem nicht nur, aber auch auf das Online-Foyer zurück. Das aktive Mitdenken zahlloser Menschen war eine wichtige Grundlage dafür und hat beispielsweise zur Implementierung einer automatischen Übersetzung der Chats geführt, um den internationalen Master-Studierenden eine barrierearme Teilhabe zu ermöglichen.
Risken
Das Ende des Sommersemesters 2020 war davon geprägt, dass fast alle Lebensbereiche wieder in Präsenz stattfanden außer der Uni. In gleichem Maße wie das öffentliche Leben wieder zunahm, nahm dabei die Aktivität im Online-Foyer ab. Gerade angesichts der zu großen Teilen nicht sehr online-affinen Zielgruppe, bedeutete dies zwar für viele eine Steigerung der Lebensqualität, drohte aber auch mit der Verabschiedung vieler von der Uni einher zu gehen. Zeitweise war es schwierig, eine kritische Aktivität aufrecht zu erhalten, unterhalb derer das Ende der Plattform gedroht hätte.
Angesichts dessen läuft derzeit eine Weiterentwicklung, die unter „Nachhaltigkeit / Verstetigung“ erläutert ist.
Übertragbarkeit
Sicherlich sind Idee und technische Grundlage einfach auf andere Kontexte übertragbar; zudem sind alle von uns entwickelten Bugfixes und Funktionserweiterungen in die zu Grunde liegende Open-source-Software zurückgeflossen. (Das war bisher noch nicht so relevant, spielt aber voraussichtlich für die geplante Weiterentwicklung eine größere Rolle.)
Die Idee, sowohl für die Entwicklung der Plattform als auch für die Eckpunkte der Programmgestaltung Teams zu bilden, die immer sowohl aus technik-affinen Menschen als auch solchen bestehen, die weniger technik-affin sind, um so etwas zu entwickeln, mit dem alle etwas anfangen können, hat sich sehr bewährt und lässt sich auch leicht für ähnliche Projekte etablieren.
Anfangs hatten wir große Befürchtungen, dass cyber-mobbing etc. zu einem Problem werden könnte, wollten aber auch nicht restriktiv vorgehen. Angesichts dessen haben wir uns für sehr liberale Regelungen entschieden, die mit einer Beobachtung der Aktivitäten und aktiver Etablierung einer offenen und rücksichtsvollen Kultur unsererseits im Schichtbetrieb einher gingen. Dies war offenbar erfolgreich; bisher gab es solche Probleme nicht und der Schichtbetrieb konnte nach kurzer Zeit beendet und die Regeln weiter gelockert werden. Auch dieser Ansatz lässt sich sicher auf viele Bereiche des (Hochschul-)lebens übertragen, die zu sehr von gegenseitiger Absicherung und zu wenig von gemeinsamer Entwicklung geprägt sind und in denen oft präventiv eingeführte Restriktionen auch dann nicht wieder aufgehoben werden, wenn sie sich als überflüssig erweisen.
Allerdings ist der entscheidende Punkt für den Erfolg des Online-Foyers seine kulturelle Passung zu den Menschen und Strukturen des Fachbereiches. Dies lässt sich nicht ohne Weiteres übertragen. Dem gerecht zu werden hat eine gründliche Auseinandersetzung erfordert, die ansonsten im Unialltag selten ist. Dies war erstaunlich viel Arbeit, hat aber auch Spaß gemacht und auch zu zahlreichen guten Ideen, teilweise auch schon realisierten Ideen geführt, die gar nichts mit dem Online-Foyer zu tun haben.
Förderung:
Die Fachschaft Physik der UzK besteht aus vielen ehrenamtlich neben dem Studium engagierten Studierenden und kümmert sich um politische und soziale Angelegenheiten der Physik-Studis.
Das Projekt „Online-Foyer“ wird von einigen Menschen der Fachschaft entwickelt, die technik- und datenschutzaffin sind, sowie solchen, die weniger technik-affin sind, damit es auch etwas Langlebiges wird.
Über dieses ehrenamtliche Engagement hinaus sind bisher lediglich Gebühren für das Webhosting und ZOOM-Lizenzen angefallen. Inzwischen konnte auf für uns kostenlose Uni-ZOOM-Lizenzen umgestellt werden. Auch ist ein Umzug auf Uni-Webserver angedacht. Die unter „Nachhaltigkeit und Verstetigung“ beschriebenen Pläne gehen voraussichtlich damit einher, dass in die verwendete Open-Source-Software selbst bestimmte Funktionserweiterungen implementiert werden müssen. Mit dem Preisgeld können wir dafür voraussichtlich zumindest eine symbolische Aufwandsentschädigung zahlen, was den Prozess auch beschleunigen könnte.
Um das Online-Foyer offline-fähig zu machen, steht im Mittelpunkt der Überlegung eine Erweiterung um Matterbridge, eine Software, die es ermöglicht, die Mattermost-Chat-Kanäle mit Gruppen der verbreiteten Messenger wie Whatsapp oder Telegram zu synchronisieren, sodass eine Anbindung an die in der non-Corona-Zeit üblichen Kommunikationswege gewährleistet ist. Oft bilden sich unter den Studierenden unseres Fachbereiches Arbeitsgruppen zu bestimmten Vorlesungen oder allgemeine „Erstsemester Winter XX“-Communities, die über solche Messenger-Gruppen kommunizieren. Sie sind zwar prinzipiell offen für Studierende, die dazu stoßen wollen, nur kommt es oft dennoch nicht dazu. Eine Einbindung solcher Gruppen in das Online-Foyer würde sie für alle auffindbar machen und auch für solche Leute erschließen, die nicht den 10. Messenger installieren oder alle von ihrem Favoriten überzeugen wollen.
Zudem wurden in den letzten Semestern und besonders auch im Online-Semester Online-Foren, Slack-Plattformen usw. von Dozierenden für ihre jeweiligen Veranstaltungen etabliert. Dadurch ist die Lage nicht nur teils unübersichtlich, vielmehr geht die Pflege all dieser Insellösungen mit hohem Arbeitsaufwand einher und auch diese Plattformen haben mit sinkender Aktivität in den letzten Monaten zu kämpfen. Deshalb sollen diese Plattformen nach Möglichkeit ebenfalls über Matterbridge eingebunden werden oder im nächsten Semester ganz im Online-Foyer aufgehen.
Zuletzt sollen die zahlreichen Fachschafts-internen Mailverteiler und Telegram-Gruppen für eine bessere Übersicht in einen eigenen Bereich eingebunden und dort ein Medien-übergreifendes Ticketing etabliert werden.