Analog oder digital: Der Mensch liebt Geschichten und lernt am besten durch ihren Austausch. Für eine Anfängervorlesung zur Elektrodynamik ist diese Einsicht doppelt bedeutsam; einerseits aufgrund der Komplexität des Stoffes, andererseits durch die vielen Geschichten, die sich mit den Experimenten und Entdeckern erzählen lassen. Das Ziel war, Vorlesung, Übungen und optionales Tutorium so reich an Interaktion und sozialen Kontakten wie irgend möglich zu gestalten, ohne einen Kompromiss beim fachlichen Anspruch einzugehen. Wir haben dazu umfassenden Gebrauch von der Expertise eines Alumnus’ gemacht, dessen Unternehmen aus der Livestreamingbranche seinerseits von Corona betroffen ist. Wir haben gewissermaßen zwei Probleme zu einer Lösung verbunden.
Die Vorlesung wird als dauerhaft verfügbarer Youtube-Livestream mit viel Herzblut produziert. Für Youtube spricht die hohe Bild- und Tonqualität sowie, von den Studierenden im Dschungel der digitalen Lehre besonders geschätzt, die einfache Benutzbarkeit. Der Einsatz u.a. einer SteadyCam hat sich für die Inszenierung der zahlreichen Experimente als besonders wertvoll erwiesen. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter beantwortet im Live-Chat Hörerfragen bzw. leitet besonders interessante unmittelbar an den Dozenten weiter. Ein Feedback zum Verständnis wird durch regelmäßige Umfragen via Poll Everywhere gewonnen.
Professor Paulus erklärt einer neugierigen SteadyCam die Maxwell-Gleichungen anhand von 100 Experimenten.
Der Übungsbetrieb wurde radikal umgestaltet indem, erstens, verständnisintensive Präsenz- neben rechenintensiven Heimübungsaufgaben eingeführt wurden. Die Lösung letzterer wird, zweitens, als Youtube-Film vor den Seminarterminen angeboten. Das vermeidet Fern-Frontalunterricht und schafft gleichzeitig Raum für die Diskussion in den Übungsgruppen mit den entsprechenden fachlichen und sozialen Vorteilen. Die Seminargruppen sind, drittens, in Kleingruppen unterteilt und diskutieren die Präsenzaufgaben in Zoom-Breakout-Rooms, in die sich der Übungsgruppenleiter reihum einklinkt. Das Format funktioniert bemerkenswert gut, interessanterweise besonders gut mit den Lehramtskandidaten.
Dr. Fuchs unterrichtet im selbstgebastelten Studio seine Seminargruppe per kombinierten Youtube-Livestream und Zoom-Sitzung.
Die Studentinnen und Studenten haben in überwältigender Mehrheit das Format sehr gelobt. Die Stärken des Formats zeigen sich besonders in den aufwändigen Experimentalvorlesungen, es ist jedoch uneingeschränkt auf jede andere Vorlesung übertragbar bei entsprechend reduzierten Kosten.
Externe Expertise ist überaus hilfreich, um aus den Startblöcken zu kommen. Wir nutzen diese Expertise, auch dazu, ein System zu konfigurieren, das mit wissenschaftlichen Hilfskräften betrieben werden kann.
Alumnus Simon Stützer (Fa. Boulder-Bundesliga) führt Regie
Risiken: Ohne ein Commitment der Universitätsleitung steht man schnell vor einer prekären Finanzierung, die das Projekt zum Nervenspiel werden lassen kann.
Förderung:
Die Produktionskosten des Kurses mit 26 Vorlesungen, 6 mal 13 Übungen, 13 Tutorien betrugen knapp 30.000 Euro, einschließlich dem Einsatz von bis zu 5 Kameras und dem Aufbau eines kleinen Studios für den Übungsbetrieb.
Finanziert wurde das Projekt durch das außeruniversitäre Helmholtz-Institut Jena, die Stadt Jena, lokale Industrie, Outreach-Mittel der DFG, des BMBF (Max Planck School of Photonics) und der Physikalisch-Astronomischen Fakultät.
Entscheidend für den erfolgreichen Abschluss des Projekts war der Enthusiasmus der beiden Inhaber der Live-Stream-Firma, der beteiligten Mitarbeiter des Lehrstuhls und dreier junger Studenten, die eine bemerkenswerte Lehrbegabung unter Beweis gestellt haben.
Ein paar Zitate von Studierenden aus einer anonymen Eigenevaluation:
- Bei weitem die beste Vorlesung von allen!
- Die Live-Vorlesung ist in der Woche immer ein Highlight!
- Die Vorlesungen sind einfach genial! Mit seeehr großem Abstand meine Lieblingsvorlesung dieses Semester.
- Durch die Youtube-Vorlesung habe ich das Gefühl, als wäre ich live im Hörsaal dabei und nicht zuhause am Schreibtisch.
- Dies ist die einzige Vorlesung, bei der man ein bisschen das Gefühl von „normalem“ Uni-Betrieb hat.